Im Auge der Gentrifizierung

Berlin leidet unter einem Virus. Er nennt sich Gentrifizierung. Seit neun Jahren beobachte ich die Veränderungen meiner Nachbarschaft rund um den Boxhagener Platz in Friedrichshain. Mittlerweile betrifft es mich persönlich. Ein Erfahrungsbericht.

Was ist Gentrifizierung überhaupt?

Der Begriff stammt aus der Soziologie und steht für die Veränderungen eines Stadtteils durch Aufwertungsmaßnahmen in Form von Sanierungen. Die Mieten steigen und die Alteingesessenen, Studenten und Künstler werden peu à peu durch monetär gut bestückte Bürger verdrängt. Leider steigt mit der Money im Geldbeutel auch das Barometer des Spießertums.

Es folgt eine Kettenreaktion: Mietsteigerung > Austausch der Anwohner > Beschwerden > Schließungen von Bars/Clubs/etc. > Eröffnung überteuerter Läden > Kiez tot.

Leute, jetzt mal ganz ehrlich. Ihr könnt doch nicht allen Ernstes in einen angesagten Stadtteil ziehen und dann merken, dass es euch doch viel zu laut und dreckig ist. Wer es immer noch nicht geschnallt hat: die Hippness eines Kiezes bemisst sich nicht am Angebot der Bioläden, sondern hat immer etwas mit Hedonismus, Party, Freiheit und Kunst zu tun. Wenn ihr auf Ruhe, Sauberkeit und Beschaulichkeit steht, zieht woanders hin, ihr Volldeppen!!!

Ich schweife ab. Zurück zum Thema.

Wie war das noch gleich mit dem Milieuschutz?

Der Millieuschutz soll eine gesunde Mischung der Bevölkerung wahren und diese Verdrängung verhindern (mehr dazu hier). Aber bringt er wirklich etwas? Es wirkt nicht so. Sehr rentabel scheinen Dachgeschossausbauten zu sein. Natürlich Luxus, damit man richtig viel Miete absahnen kann. Ich frage mich ernsthaft, wer die vielen Baugenehmigungen erteilt, allein in meiner Nachbarschaft wachsen trotz Millieuschutz überproportional viele Häuser um ein Stockwerk höher und werden sauteuer vermietet.

Jetzt hat es mich erwischt.

Seit etwa drei Jahren tobt der Tornado der Gentrifizierung in meiner Straße. Ich stecke mittendrin und muss zusehen, wie meine einst geliebte Hood immer konventioneller wird. Meinem Wohnhaus geht es seit einem halben Jahr an den Kragen, natürlich auch ein Dachgeschossausbau (für solvente Mieter, versteht sich). Selbstredend muss da auch ein Aufzug her, denn wer will bei dem Mietpreis schon Treppen laufen? Die Kosten werden auf das ganze Haus umgelegt, ist doch klar. Es war ja nice, dass das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg über die bewilligte Sanierung mitgeteilt und darauf hingewiesen hat, dass man gegen einen Aufzug Veto einlegen darf. Aber was bringt das schon? Es stoppt den Dachgeschossausbau nicht. Ich werde einfach nur von der Nutzung des Aufzuges ausgeschlossen.

Ein Life in der Baustelle ist kein Life

Warum sind Bauarbeiter eigentlich zwischen sieben und neun Uhr am lautesten? Dem Typus Bauarbeiter scheint ein kleiner Sadist innezuwohnen. Nach der Frühstückspause ist es meist einigermaßen erträglich. Doch dann muss man ja zur Arbeit oder in die Uni.

Dann das Baugerüst vor jedem Fenster. Da sitzt man morgens auf dem Klo oder steht total verpennt beim Kaffeekochen und ein Bauarbeiter läuft an dir vorbei. Moin. Ganz toll.

Im Januar (kalt!) haben die Arbeiten für den Fahrstuhl begonnen und die Wände im Hausflur wurden brutal rausgekloppt. Nun ist es April und das Loch ist immer noch da. Und mit ihm unglaublich viel Dreck im Flur. Aber der ist ja eigentlich überall.

Es wurde ohne Vorwarnung das Wasser abgestellt. Genau in dem Moment, in dem ich morgens in die Dusche stieg. Hass.

Die Hausverwaltung informierte mich darüber, dass sie ein Loch in meine Wohnzimmerwand schlagen, um Leitungen zu verlegen. Äh….WTF?

Angesetzte Termine seitens der Hausverwaltung dienen nur zur Orientierung. Das besagte Loch im Wohnzimmer oder die Sanierung des Balkons zum Beispiel wären auf dem Papier schon erledigt, passiert ist bisher noch nichts. Dafür klingelten die Fensterbauer eine Woche zu früh an meiner Tür. Wir Mieter müssen selbstverständlich strammstehen – auch wenn dafür Urlaubstage geopfert werden müssen.

Apropos Fenster: Die Altbaufenster zum Hinterhof wurden durch Kunststofffenster ersetzt. Clever, denn das zählt als energetische Sanierung und kann partiell auf die Miete umgelegt werden (mehr dazu hier).  Denkmalschutz sei Dank dürfen Fenster und Balkontüren zur Straße nur restauriert werden. Aber wann (und ob) dies geschieht, steht in den Sternen. Die Mieterhöhung wird wohl direkt nach Abschluss der Bauarbeiten in die Briefkästen des Hauses flattern.

Auch betroffen? Hier gibt es Hilfe:

Gefällt dir dieser Artikel?

Ich freue mich über dein Like und Share in sozialen Netzwerken!

 

 

 

 

Ein Gedanke zu „Im Auge der Gentrifizierung

Schreibe einen Kommentar